PDA

Vollständige Version anzeigen : Was macht Finnland anders?


Jeannine
22.09.2005, 08:02
Hallo Zusammen,


hier im Forum wird ja sehr viel über problematische Grundschullehrer und Co diskutiert! Es ist natürlich schwer, die genauen Gründe zu finden, oft sind die Pädagogen äußerst überfordert und es kommt bei bestimmten "Themen" zu einer Ignoranz gegenüber Eltern oder z.B. einer LH-Beraterin...


Über Finnland habe ich einen interessanten Artikel über das dortige Schulsystem gelesen. Die Pädagogen haben eine leichtere Arbeitsweise:


Was macht Finnland anders?


"Unser Ziel ist, dass 100% der Schülerinnen und Schüler die gymnasiale Oberstufe besuchen und danach das Abitur machen!" Diese Aussage von Jukka Sarjala, dem ehemaligen Präsidenten des finnischen Zentralamtes für Unterrichtswesen, verbunden mit einem verschmitzten Lächeln, war nicht die einzige Überraschung für 33 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Landkreis Schwäbisch Hall, die an einer PISA-Studienreise nach Finnland teilnahmen. Organisiert von Richard Hänle, dem Vorsitzenden der Deutsch-Finnischen Gesellschaft e.V. Hohenlohe-Franken wurden auf der achttägigen Bildungsreise in den Faschingsferien eine Gesamtschule bei Helsinki mit gymnasialer Oberstufe, sowie eine Gesamtschule in Lappeenranta, der Haller Partnerstadt besucht. Zum Schluss wurde ein Kindergarten mit Vorschule unter die Lupe genommen - eine der wichtigsten Säulen finnischer Bildungspolitik.


Denn: "Auf den Anfang kommt es an!" Von dieser bildungspolitischen Grundthese konnten wir uns in einem städtischen Kindergarten von Lappeenranta, einer 60 000 Einwohnerstadt nahe der russischen Grenze, überzeugen. Dass Kinder bereits ab dem ersten Lebensjahr den Kindergarten besuchen, ist zwar kein Muss, aber in vielen Familien selbstverständlich. In Ausnahmefällen werden sogar noch jüngere Kinder aufgenommen. Die Betreuungszeiten sind so gut es irgendwie geht auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmt. Öffnungszeiten von 6.30 Uhr bis 17.00 sind die Regel. In größeren Städten gibt es auch die Möglichkeit, sein Kind über Nacht oder am Wochenende betreuen zu lassen. Ein Angebot, dass von Berufsgruppen wie SchichtarbeiterInnen, Polizeimitarbeitern oder Krankenhauspersonal gerne in Anspruch genommen wird. Aber natürlich ist es auch möglich, sein Kind auch nur von 8 bis 12 Uhr im Kindergarten zu lassen. "Wenn Eltern ihr Kind bei uns anmelden, haben wir in 2 Wochen einen Platz für das Kind in unserer Stadt, egal zu welchen Zeiten und wie lange.", sagte uns die Leiterin des Kindergartens im Stadtteil Skinnarila.

Die Kinder werden im Tagesablauf abwechselnd altersgemischt und altershomogen betreut. Die Kleinen lernen von den Großen bei Tanz, Spiel und Projekten.

Bei den ein- bis dreijährigen kommt eine Betreuerin auf vier Kinder, bei den älteren ist rein rechnerisch eine Betreuerin für sieben Kinder zuständig. Die Gruppengrößen sind mit 13 bis 15 Kindern eher klein. Die Gruppengröße in deutschen Kindergärten ist oft doppelt so groß.

Feste Essenszeiten - Frühstück, Mittagessen und Nachmittagssnack - gliedern den Tagesablauf. Essen und Trinken stellt der Kindergarten. Kein finnisches Kind geht mit einem Vespertäschchen oder Essensgeld in den Kindergarten. Die Gebühren für einen Kindergartenplatz liegen zwischen 0 und 200 Euro, je nach Verdienst der Eltern und Betreuungszeit des Kindes.

Das Spiel im Freien hat einen großen Anteil im Tagesablauf. Schneeanzug und dicke Winterstiefel gehören zur festen Ausstattung für die langen, kalten finnischen Winter. Für die Kleinen gibt es Betten für Mittagsschlaf und Nickerchen.

Das Personal setzt sich aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen. Die Erzieherinnen, die eine Gruppe leiten haben Abitur und ein Hochschulstudium absolviert. Daneben gibt es weiteres pädagogisches Personal von Helferinnen und Assistentinnen, was vermutlich den deutschen Kinderpflegerinnen entspricht. In dem von uns besuchten Kindergarten waren 20 Betreuungspersonen für 72 Kinder da, Küchen- und Reinigungspersonal nicht mit eingerechnet.

Fremdsprache schon im Kindergarten

Jeder Kindergarten muss eine eigene Konzeption entwickeln. Eigens entwickelte Profile wie Fremdsprachenlernen oder naturwissenschaftliches Experimentieren sind erwünscht. Im Kindergarten von Skinnarila können die Kinder Russisch lernen. Einige Stunden in der Woche werden sie von einer "Native-speakerin" spielerisch mit der russischen Sprache vertraut gemacht. Andere Kindergärten beginnen mit Englisch, Schwedisch oder Deutsch.

Mit Beginn des sechsten Lebensjahres absolvieren die Kinder im Kindergarten ein Vorschuljahr. Hier wird bereits in Anfängen Lesen und Schreiben gelernt. Im mathematischen Bereich wird im Zahlenraum bis 20 addiert und subtrahiert. Vieles entspricht den Lerninhalten der deutschen ersten Klasse. Aber man denke an die Gruppengröße von höchstens 15 Kindern, und auch die wird oft noch geteilt.

Auch in Finnland gab es die Diskussion um einen zu späten Schulbeginn mit 7 Jahren. Doch mitten in die Diskussion platzten die guten Ergebnisse der PISA-Studie und so ließ man es gerne beim Alten.


Vorschulunterricht


Vorschulunterricht wird für 6jährige angeboten, die im darauffolgenden Jahr ins schulpflichtige Alter kommen. Die Teilnahme am Vorschulunterricht ist freiwillig, der Vorschulunterricht wird in Kindergärten und Vorschulklassen der Gesamtschulen angeboten. Im Herbst 2000 gab es in den Gesamtschulen etwa 11 000 Vorschüler und in den Kindergärten 48 000 Sechsjährige. Das sind über 90 % dieser Altersklasse landesweit. [ISCED 0]


Ziel der Vorschulerziehung ist das Schaffen eines Spiel- und Lernumfeldes, das dem Kind anregende Aktivitäten anbietet und die Möglichkeit, sich gemeinsam mit anderen Kindern vielseitig zu entwickeln. Es wird angestrebt, auch Kinder und Eltern in die Planung des Vorschulunterrichtes einzubeziehen.


In Finnland bedeutet Vorschulunterricht den systematischen Unterricht und die Erziehung in Kindergärten oder Gesamtschulen im letzten Jahr vor dem Schuleintritt. Die Betonung beim Begriff Vorschulunterricht liegt also auf der Vorbereitung auf den Schulunterricht als Gegensatz zur Früherziehung, die das Kind davor erhält. Die Teilnahme am Vorschulunterricht ist freiwillig. Für den Vorschulunterricht in den Kindergärten wird eine angemessene Gebühr unabhängig von den Vermögensverhältnissen der Eltern entrichtet.


Für den Vorschulunterricht wurden 2000 die Grundlagen des Unterrichtsplans erarbeitet. Die allgemeinen Prinzipien der Grundlagen zielen auch auf die Individualität des Kindes sowie die Bedeutung des aktiven Lernens und der Gruppenarbeit. Der Unterrichtsplan enthält keine Untergliederung in einzelne Unterrichtsfächer oder Unterrichtsstunden, aber er gibt trotzdem verschiedene Themenbereiche sowie Ziele an. Die Themenbereiche sind Sprachen und Interaktion, Mathematik, Ethik und Philosophie, Umwelt und Natur, Gesundheit, Physische und motorische Entwicklung samt Kunst und Kultur.


Der Vorschulunterricht basiert auf den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen des Kindes. Die Schwerpunkte liegen in dem Spiel des Kindes und in einer positiven Lebenseinstellung. Die Methoden und Funktionen des Vorschulunterrichtes sind möglichst vielseitig und abwechselnd angelegt. Von wichtiger erzieherischer Bedeutung sind die Aktivitäten, bei denen das Kind lernt, in der Gruppe zu arbeiten. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Unterstützung und Betonung der Eigeninitiative des Kindes als Grundlage aller Aktivitäten.


Im Vorschulunterricht gibt es keine offiziellen Bewertungsmassstäbe, aber es erfolgt eine intensive Beobachtung der Entwicklung des Kindes. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Schulbereitschaft des Kindes, also darauf, wie sich das Gefühlsleben und die sozialen und kognitiven Fähigkeiten des Kindes entwickelt haben.


Etwa 90 % der Sechsjährigen nehmen am Vorschulunterricht teil. Am Vorschulunterricht der Gesamtschulen nehmen etwa 15 % teil. Hier wird der Vorschulunterricht in Vorschulklassen oder zusammengelegten Klassen erteilt. Vorschulunterricht wird zum grössten Teil in Kindergärten angeboten; diese sind dem Ministerium für Soziales und Gesundheit unterstellt.

Die Vorschulereform, die stufenweise seit dem 1. August 2000 in Kraft getreten ist, verpflichtet die Kommunen, für alle berechtigten Kinder einen Vorschulplatz bereitzustellen.


Eine neunjährige Gesamtschule für alle


Auf den Kindergarten baut die neunjährige Gesamtschule auf. Sie gliedert sich in eine sechsjährige Grundstufe und eine Mittelstufe der Klassen 7 bis 9. (siehe Graphik 6) Alle Schulen sind mit einem Fördersystem ausgestattet, das deutsche Lehrerinnen und Lehrer vor Neid erblassen lässt. Neben einem Kurator, der sich im Auftrag der Kommunen um soziale Belange kümmert, stehen Schulpsychologen, Sozialpädagogen, Speziallehrer (special need teachers) mit sonderpädagogischer Ausbildung, eine Krankenschwester, sowie Schulassistenten zu Verfügung und entlasten die Lehrerinnen und Lehrer von all den zeitraubenden Aufgaben, die sie an der Konzentration auf den Unterricht hindern. Wie viel zusätzliches pädagogisches Personal vorhanden ist, hängt von der finanziellen Lage der Kommune ab, die Schulträger ist und die Lehrerinnen und Lehrer einstellt und entlässt, die keinen Beamtenstatus haben. Jede Schule vefügt über ihr eigenes Budget und entscheidet, ob anstatt eines neuen special need teachers ein weiterer Sozialpädagoge eingestellt wird oder umgekehrt.

Die Klassen sind klein, selten größer als 20 Schüler. Welche Kinder während der regulären Unterrichtszeit zum special need teacher gehen entscheidet der Klassenlehrer in Absprache mit den Eltern. Hauptgründe für diesen "Spezialunterricht" sind auch in Finnland Probleme mit dem Lesen und Schreiben oder in Mathematik. 16% aller finnischen Kinder kommen im Laufe ihrer Schulzeit in solch eine Zusatzförderung.

Schulassistenten haben eine nur einjährige pädagogische Ausbildung und begleiten den Lehrer in seinem Klassenunterricht. Ein Schulassistent macht mit den Kindern individuelle Leseübungen oder unterstützt beim Rechnen oder geometrischen Zeichnen das einzelne Kind.

Noten gibt es frühestens ab Klasse 5 und auch dann nur in Verbindung mit einer verbalen Beurteilung. Den Zeitpunkt für die ersten Ziffernnoten kann jede Schule selbst bestimmen.

Eine Unterrichtsstunde hat wie bei uns 45 Minuten, danach schließt sich aber immer eine 15 minütige Pause an, in der die Kinder in der Regel ins Freie gehen. Das nimmt Hektik aus dem Schultag. Die Lehrer nutzen diese Zeit entweder für anstehende Gespräche mit ihren Schülern oder für Absprache mit den Kollegen. Dass das finnische Schulsystem auf Ganztagesschulen beruht stimmt nicht!

Im Gegenteil: Die Klassen 1 bis 4 haben nur 20 Wochenstunden, die älteren Schüler in Klasse 7 bis 9 30 Wochenstunden. Hausaufgaben werden in der Regel zu Hause gemacht. Aber jeder finnische Schüler erhält in der Schule ein kostenloses warmes Mittagessen und geht in der Regel danach nach Hause, wenn er keinen Nachmittagsunterricht hat. "Das Essen in der Schule ist so selbstverständlich, wie dass ein Haus ein Dach hat.", sagte uns ein finnischer Kollege. Seit 1944 ist dies in Finnland gesetzlich verankert.

Auch das Schreibmaterial wie Hefte und Stifte werden von der Schule gestellt.

Die Diskussion um einen erhöhten Bedarf an Ganztagesschulen gibt es in Finnland genauso wie bei uns und man bemüht sich um deren Ausbau.

"Wer spricht schon Finnisch?"

Einen wichtigen Stellenwert hat das Fremdsprachenlernen. Jedes finnische Kind lernt mindestens zwei Fremdsprachen. Englisch, Schwedisch, Deutsch werden am häufigsten gewählt. In der Regel beginnt die erste Fremdsprache in Klasse 3, manchmal auch ab der ersten Klasse. "Für uns ist Sprachenlernen überlebenswichtig. Wer auf der Welt spricht schon Finnisch?", äußern Finnen auf staunendes Nachfragen. Auch im Fernsehen werden alle Filme in Originalsprache mit finnischen Untertiteln gezeigt. Das englische oder deutsche "Sprachbad" erhalten die finnischen Ohren also auch außerhalb der Schule.

Migrantenkinder, deren Anteil mit unter 2% sehr gering ist, haben neben dem finnischen Zusatzunterricht auch ein Anrecht auf zwei Stunden Unterricht in ihrer Muttersprache. In der Hauptstadt Helsinki wird in 50 Sprachen muttersprachlicher Unterricht - natürlich von native-speakern- gegeben.




Sonderschulen für Kinder mit Behinderungen, Sinnesschädigungen oder schweren Verhaltensproblemen gibt es auch in Finnland. Allerdings werden sie meist als Außenklassen an den regulären Gesamtschulen geführt. An den beiden Schulen, die wir besuchten gab es eine Klasse mit Autisten und eine "Dysphasikerklasse" mit sprachbehinderten Kindern.

Die Ausgaben für einen finnischen Grundschüler liegen mit 5000 Euro jährlich im Vergleich zu 3500 Euro in Deutschland um einiges höher. Bei den Mittelstufen- und Gymnasialschülern kehrt sich das Verhältnis um. Auch hier zählt der finnische Leitsatz "Auf den Anfang kommt es an."

Nach der sechsjährigen Grundstufe werden die siebten Klassen neu zusammengesetzt, je nach Interessensschwerpunkt oder Begabung. In einer Klasse lernt man eine dritte Fremdsprache oder erhält zusätzlichen Mathematikunterricht. In anderen Klassen werden eher technische oder hauswirtschaftliche Schwerpunkte gesetzt. Für Schüler mit größeren Lernproblemen werden kleine Klassen mit ca. 15 Schülern gebildet. Die leistungsstärkeren Schüler sitzen in größeren Klassen. Das Klassenlehrerprinzip der Grundstufe wird nun vom Fachlehrer abgelöst.

Wer nach der neunjährigen Gesamtschule den Besuch eines Gymnasiums anstrebt, für den beginnt spätestens in der 9. Klasse die "Büffelphase". Manche Gymnasien mit bestimmtem Profil verlangen einen besonders guten Notendurchschnitt. Aber 50 bis 60% der finnischen Schüler besuchen die gymnasiale Oberstufe. Diese wird nicht mehr im Klassenverband, sondern nur noch im reinen Kurssystem besucht. In der Regel nach 3 Jahren melden sich die Schüler zur Abiturprüfung an, die in ganz Finnland zentrale Prüfungsaufgaben hat und auch zentral in Helsinki korrigiert wird. Ihre eigenen Lehrkräfte haben keinen Einfluss auf die Zensuren. Wer nicht das Gymnasium besucht geht ähnlich wie in Deutschland in eine dreijährige Berufsausbildung. Finnische Abiturienten sind nach 12jähriger Schulzeit und einem vorangegangenen Vorschuljahr genauso alt wie die Deutschen.

Natürlich können drei Tage Schulhospitation in Finnland nicht den detaillierten Einblick in die alltägliche Schulrealität geben. Es fiel aber insgesamt eine ruhige und gelassene Atmosphäre auf Schüler- und Lehrerseite auf. Brennpunktthemen wie Hyperaktivität bei Schülern oder Burn-out und Tinnitus bei Lehrern sind in Finnland eher seltene Randthemen. Ob das eine Folge des finnischen Schulsystems ist oder eher der "finnischen Seele" mag Anlass einer soziologischen Studie sein. Eine amerikanische Lehrerin der Gesamtschule Lappeenranta äußerte, die Umstellung auf die ruhigen, eher zurückhaltenden finnischen Schüler sei doch sehr groß gewesen, nachdem sie zuvor jahrelang an einer Schule im New Yorker Stadtteil Manhattan unterrichtet habe "They were more lively."

Die Unterrichtsmethoden, die wir sahen unterscheiden sich nicht von unseren. Wir sahen moderne Partner- und Gruppenarbeit genauso wie einfachen Frontalunterricht. Das finnische Geheimnis einer speziellen Unterrichtsmethode haben wir nicht entdeckt.

Wer zuvor den Rainhard Kahl Film "Schulen am Wendekreis der Pädagogik" gesehen hatte war nach den Schulbesuchen in manchen Punkten fast wieder beruhigt auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Die Schulausstattung mit Einrichtung und Mobiliar war eher einfach und funktional. In den Schulmensen sahen wir keine Palmen und Wasserspiele. Die Klassenzimmer waren klein, die Pausenhöfe keine Abenteuerspielplätze. Auch hier konnte das finnische PISA-Geheimnis nicht liegen.

Was uns neidisch die Stirn runzeln ließ, war die Auskunft darüber, dass der Lehrerberuf in Finnland ein sehr hohes gesellschaftliches Ansehen erfährt. "Kansankytilla" werden auf dem Land finnische Schulmeister ehrfurchtsvoll genannt, was so viel heißt wie "Kerzen des Volkes".

Auf einen Pädagogik-Studienplatz kommen 10 Bewerber. Die Zulassung läuft über einen Eignungstest. Eine Absage kann auch damit begründet sein, dass der Bewerber u.a. zu wenig Humor für den angestrebten Beruf mitbringe. Die Bezahlung liegt im Vergleich zu anderen akademischen Berufen in Finnland an der unteren Skala und ist ca. ein Drittel geringer als ein deutsches Lehrergehalt, wobei die Deputatsstunden niedriger sind.

"Die Schule ist ein Bindeglied der Gesellschaft."

Das finnische Gesamtschulsystem existiert erst seit den siebziger Jahren. Zuvor gab es ein gegliedertes Schulsystem ähnlich dem Deutschlands. Die Reform war damals politisch umstritten. Davon ist heute keine Rede mehr. Über alle Parteien hinweg wird das Gesamtschulsystem anerkannt. Jukka Sarjala, den man als Vater dieser Schulreform

bezeichnen kann ist nicht ohne Grund stolz auf sein Werk. "Es ist wichtig, dass alle Kinder verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Schichten sich gegenseitig kennenlernen und miteinander leben. Die Schule ist ein Bindeglied der Gesellschaft." Auf das Stütz- und Fördersystem angesprochen äußert er: "Wir sind ein kleines Land mit nur fünf Millionen Einwohnern. Wir müssen uns um Jeden kümmern." Schmunzelnd fügt er hinzu, dass er bei einem Treffen mit der baden-württembergischen Kultusministerin Frau Schavan von CDU-Abgeordneten nach seinen Ausführungen für einen "Linken" gehalten wurde. Natürlich muss er da schmunzeln, ist er doch Mitglied der konservativen Bauernpartei.


Was macht es nun aus das finnische Geheimnis?


Von allem ein bisschen. Entscheidend ist mit Sicherheit die frühe Bildungsinvestition in Kindergarten und Grundschule. In kleinen Gruppen und kleinen Klassen arbeitet gut ausgebildetes und motiviertes Personal. Ein umfangreiches Stütz- und Fördersystem für Schüler mit Lernproblemen entlastet die Klassenlehrer und hilft dem einzelnen Kind. Keine finnische Klassenlehrerin begreift, dass von ihrer deutschen Kollegin erwartet wird, dem Problem schlicht durch "Binnendifferenzierung" beizukommen. Es geht nie um Auslese, Noten setzen sehr spät ein, Prüfungen sind keine Sackgassen. Und da ist die Gesamtschule, die -fast- alle Schüler eines Jahrganges neun Jahre lang gemeinsam besuchen. Erst ab Klasse 7 entscheiden sie sich für Klassen mit verschiedenen Schwerpunkten, bleiben aber an der gleichen Schule.Mit ein bisschen Reformkosmetik lässt sich Helsinki nicht auf Stuttgart übertragen.

Marion Urbitsch

Daniel
22.09.2005, 15:04
Es ist schön und gut Finnland als Vorbild für mögliche Schulreformen zu sehen. Leider lässt das aber in unserem Land nicht umsetzen. Die wirtschaftliche und vor allem die Haushaltslage des Staates sind derart dramatisch dass solche Dinge wenn überhaupt nur mittelfristig realisiert werden können. Finnland musste keine Wiedervereinigung finanzieren, Finnland ist durch die Wasserkraft nicht derartig abhängig vom Öl- und Gaspreis und Finnland hat eine ganz andere Tradition als Deutschland und ist deshalb nur bedingt vergleichbar. Es gibt des weiteren Unterschiede im Altersaufbau in der Gesellschaft, in der wirtschaftlichen Situation der Nachbarstaaten uvm. Zrotzdem ist so ein Modell sicherlih diskussionswert.

MfG

Daniel

Jeannine
22.09.2005, 22:20
Hallo Daniel,


Es ist schön und gut Finnland als Vorbild für mögliche Schulreformen zu sehen. Leider lässt das aber in unserem Land nicht umsetzen. Die wirtschaftliche und vor allem die Haushaltslage des Staates sind derart dramatisch dass solche Dinge wenn überhaupt nur mittelfristig realisiert werden können.


Klar, das leuchtet mir ein, daß eine Änderung nicht von Heute auf Morgen zu realisieren ist! Mir ging es in erster Linie um die Pädagogen, die zur Zeit in Deutschland sehr überfordert sind...Umbruch zur Ganztagsschule, überfüllte Klassen, riesen Altersmischungen in den Kindergärten..etc, da lässt sich Bildung nur erschwert realisieren und Problemkinder müssen mit der Masse mitziehen! Natürlich gibt es auch Ausnahmen...


Finnland musste keine Wiedervereinigung finanzieren,...


hat jedoch große Teile vom DDR-Bildungssystem übernommen! Nach der Wende wurde viel Soziales in den neuen Bundesländern zerstört, das muss auch mal erwähnt werden! Und nun wird alles von vorne aufgebaut? Klar, das da keine Gelder übrig bleiben....


...Zrotzdem ist so ein Modell sicherlih diskussionswert.



Auf jeden Fall! Den Schulbeginn mit 5 Jahren in Deutschland finde ich z.B. Bedenkenswert!


Viele Grüße von Jeannine

Conny
23.09.2005, 10:34
Hallo Jeannine,

in manchen Dingen muss ich dir sicherlich recht geben, obgleich ich meine, dass das finanzielle Problem nur die eine Seite ist. Ich erwarte einfach von Lehrern und Erziehern, dass sie bereit sind, sich mit bestimmten Theman auseinanderzusetzen und auch umzudenken. Von anderen Berufsgruppen verlangt man dies auch. Ich kann mich schließlich in einem großen Unternehmen auch nicht hinstellen und sagen "habe ich noch nie etwas von gehört, ist wissenschaftlich nicht belegt und daraum für mich nicht relevant." Wenn ich das tu werde ich schneller arbeitslos als ich gucken kann.

Was den Schulbeginn mit 5 Jahren betrifft - muss ich feststellen, das dies nur Sinn macht, wenn eine entsprechende Frühförderung gewährleistet ist. Die scheint im Momtent nicht gegeben zu sein, deshalb gibt es ja oft auch so viele Probleme in den Grundschulen, weil die Kinder soooooo unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen.

Liebe Grüße Conny

Jeannine
23.09.2005, 20:26
Hallo Conny,


in manchen Dingen muß ich dir sicherlich recht geben, obgleich ich meine, daß das finanzielle Problem nur die eine Seite ist. Ich erwarte einfach von Lehrern und Erziehern, daß sie bereit sind, sich mit bestimmten Theman auseinanderzusetzen und auch umzudenken. Von anderen Berufsgruppen verlangt man dies auch. Ich kann mich schließlich in einem großen Unternehmen auch nicht hinstellen und sagen "habe ich noch nie etwas von gehört, ist wissenschaftlich nicht belegt und daraum für mich nicht relevant." Wenn ich das tu werde ich schneller arbeitslos als ich gucken kann.


Das stimmt schon! Einfach ignorieren darf man Probleme nicht! Auf jeden Fall sollte sich die Lehrerin mit der Rückschulung auseinandersetzen! Es ist ein Unterschied, ein Problem zu verstehen und zu akzeptieren, jedoch wegen schlechter Verhältnisse nicht Kompetent genug Handeln zu können, als vornherein schon mit Vorurteilen alles zu boykottieren! Wenn das die Lehrerin nicht einsehen kann, gehört sie zu der Mitläufersorte, die nur geradeaus blickt…Auf der anderen Seite gibt es Pädagogen, die wirklich überfordert sind! Ich gehöre auch dazu! Mein Arbeitsbereich ist zur Zeit Kindergärtnerin, obwohl ich da auch schon über Jahre nicht mehr tätig war. Mein zweiter Beruf Musikpädagogin für Musikschulen ist zur Zeit nur als Honorartätigkeit ausübbar und selbst da mangelt es an Stellen wegen der Einstellungsstops! Als „ Nun wieder Erzieherin“ eine Gruppe von Kindern im Alter zwischen 2 und 5 Jahren optimal zu fördern ist meiner Meinung kaum realisierbar! Mir bleiben wenige Möglichkeiten: entweder mich an den Kleinkindern wegen der geringen Konzentrationsfähigkeit zu halten und die älteren Kinder in geringen Schüben zu fördern oder die kleineren Kinder zum Stillsitzen ermahnen und mich am Mittelmaß der Gruppe zu orientieren ( - und + wird außer Kraft gesetzt)…Letztere Möglichkeit steht leider an 1. Stelle, denn wenn ich die Kleinkinder laufen lasse, machen alle Kinder Blödsinn!!! Ich würde lieber mit anderen Mitteln arbeiten und eine annähernd homogene Gruppe besitzen! Manchmal gibt es Augenblicke, wo in Projekten gearbeitet wird und die Kinder in die Bereiche Vorschule, Mittel und Klein geteilt werden! Das sind die kleinen Momente der Entspannung für Kinder und Erzieher! Diese Zeiten sind nicht lang und ab der Mittagszeit bis zur Schließung steht wieder Chaos auf dem Programm. Nach der Arbeit bin ich so fertig, das ich zwischen Hirnschlag und Herzinfarkt stehe…




Was den Schulbeginn mit 5 Jahren betrifft - muß ich feststellen, daß dies nur Sinn macht, wenn eine entsprechende Frühförderung gewährleistet ist. Die scheint im Momtent nicht gegeben zu sein, deshalb gibt es ja oft auch so viele Probleme in den Grundschulen, weil die Kinder soooooo unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen.


Frühförderung kann in gemischten Gruppen nur stattfinden, wenn 2 Räume zur Verfügung stehen und PERSONAL! Krippenkinder gehören einfach nicht in Kindergartengruppen, weil der Biorhythmus ganz anders ist, die Kinder von den älteren blockiert werden und nur verängstigt im Raum umherirren (trotz Motivation der Erzieherin). Außerdem ist die Erzieherin mehr mit Pflegemaßnahmen beschäftigt, als mit Bildung. Ich habe die Ausbildung als Erzieherin in der DDR kurz vor der Wende abgeschlossen. Nach Jahren kann ich reflektieren, was gut und was schlecht war! Mir ist aufgefallen, daß die DDR-Kindergartenkinder in ihren kognitiven und sozialen Fähigkeiten weiter waren, als die jetzigen Vorschulkinder in meiner Einrichtung! Eigentlich traurig, obwohl bei uns altersspezifische Angebote stattfinden! Das Krippensystem war zu DDR-Zeiten gut organisiert, die Kinder kamen mit 3 Jahren Windelfrei und mit einer gewissen Selbständigkeit in den Kindergarten. Danach waren die Gruppen homogen und teilweise (Frühdienst und Nachmittag) gemischt. Die Vorschulerziehung begann schon mit 3 Jahren ganzheitlich, heute soll in einem Jahr alles aufgeholt werden, was in den vorangegangenen Jahren nur gering geschult wurde! In der Vorschule werden auf einmal Lernbögen ausgefüllt, obwohl die sensorische Integration sehr schlecht ist! Das habe ich bei Wahrnehmungsspielen festgestellt, als ich Vertretungsweise mit der Vorschule arbeitete. Wir haben in dieser Vorschule sogenannte „Kann-Kinder“, die mit 5 Jahren eingeschult werden. Für mich völlig unrealistisch, weil sie einfach noch nicht so weit sind. Ich verstehe einfach nicht diese ehrgeizigen Eltern! Hoffentlich vertritt Deutschland nicht diese Schul-Drill-Schiene von Japan! Die Finnen denken da viel umsichtiger und das erkennt man ja auch am Resultat der Pisa-Studie.Die "Richtige Vorschule" beginnt dort erst mit 6 Jahren und die Einschulung mit 7 Jahren. Vorab ist die Frühförderung...


Viele Grüße von Jeannine

Jeannine
28.09.2005, 10:50
Hallo Conny,


ich habe speziell zu Deinem Sohn noch Fragen! Würde die Lehrerin einen Kompromiß eingehen, wenn Dein Sohn die nicht fertig beendeten Aufgaben zu Hause erledigt und sozusagen dafür auch keine zusätzlichen Hausaufgaben, bzw. nur in Schüben erhält? Das könnte doch über einen gewissen Zeitraum beobachtet werden und wenn der Lernstoff nicht bewältigt wird, kann immer noch eine Klassenwiederholung in Aussicht gestellt werden!? Eigentlich hätte auch die LH-Beraterin diesbezüglich schon hinweisen können, denn eine Rückschulung funktioniert nicht im Schnellverfahren, sondern benötigt Zeit und Kraft! Die Lehrerin kann nicht immer auf jedes Kind warten, weil sich in der Klasse schnell Unruhe bildet und immer Extraaufgaben für den Rest der Klasse stellen, kann auf Dauer Langeweile oder eine Rückentwicklung der gesamten Klasse bedeuten! Wenn die Lehrerin Deinem Sohn die Zeit im Unterricht geben würde und derweil mit der Klasse den neuen Unterrichtsstoff beginnt, würde Chris auch hinterherhinken! Das die Lehrerin Chris wegen seiner Langsamkeit anschreit ist keine gute Lösung, auf der anderen Seite kann es möglich sein, das in seiner Klasse schwierige Kinder sind, die bewußt stören! Selbst im Kindergarten habe ich Kinder, die keinen Respekt vor Erwachsenen haben und sogar bei Bewußtwerden des eigenen Fehlverhaltens die Erzieherinnen schlagen! Auf freundliche Worte reagieren manche Kinder gar nicht mehr, echt traurig!!!


Viele Grüße von Jeannine

Conny
28.09.2005, 14:04
Hallo Conny,

ich habe speziell zu Deinem Sohn noch Fragen! Würde die Lehrerin einen Kompromiß eingehen, wenn Dein Sohn die nicht fertig beendeten Aufgaben zu Hause erledigt und sozusagen dafür auch keine zusätzlichen Hausaufgaben, bzw. nur in Schüben erhält? Das könnte doch über einen gewissen Zeitraum beobachtet werden und wenn der Lernstoff nicht bewältigt wird, kann immer noch eine Klassenwiederholung in Aussicht gestellt werden!? Eigentlich hätte auch die LH-Beraterin diesbezüglich schon hinweisen können, denn eine Rückschulung funktioniert nicht im Schnellverfahren, sondern benötigt Zeit und Kraft! Die Lehrerin kann nicht immer auf jedes Kind warten, weil sich in der Klasse schnell Unruhe bildet und immer Extraaufgaben für den Rest der Klasse stellen, kann auf Dauer Langeweile oder eine Rückentwicklung der gesamten Klasse bedeuten! Wenn die Lehrerin Deinem Sohn die Zeit im Unterricht geben würde und derweil mit der Klasse den neuen Unterrichtsstoff beginnt, würde Chris auch hinterherhinken! Das die Lehrerin Chris wegen seiner Langsamkeit anschreit ist keine gute Lösung, auf der anderen Seite kann es möglich sein, das in seiner Klasse schwierige Kinder sind, die bewußt stören! Selbst im Kindergarten habe ich Kinder, die keinen Respekt vor Erwachsenen haben und sogar bei Bewußtwerden des eigenen Fehlverhaltens die Erzieherinnen schlagen! Auf freundliche Worte reagieren manche Kinder gar nicht mehr, echt traurig!!!

Viele Grüße von Jeannine

Hallo Jeannine,

wir hatte bereits im Vorfeld darüber nachgedacht, Chris die 2. Klasse (trotz seiner sehr guten Noten) wiederholen zu lassen, damit er die besagte Zeit hat, rückgeschult zu werden. Chris hat sich gegen diesen Vorschlag mit Händen und Füßen gewehrt. Ich kann das auch verstehen, er war so stolz auf seinen 2,0-Schnitt. Da er sehr wenig Selbtbewusstsein hat - würde er dies als Strafe betrachten, zumal er aufgrund seiner "Gedächnisaussetzer" schon oft meinte dumm zu sein. Diese Auffassung würde ich damit bestätigen und ihn letzendlich kaputt spielen. Aufgrund der Rückschulung wird er natürlich zusehens noch langsamer. Aufgaben, die er nicht schafft, macht er zu Hause fertig (aber auch hier muss ich beobachten, dass er langsamer in der Durchführung wird). Ich mache ihm diesbüglich keine Stress. Er weiß woran das liegt (denn ich sage es ihm mit Regelmäßigkeit). Ich weiß nicht, wie er das Klassenziel schaffen soll. Darüber möchte ich lieber zur Zeit auch noch nicht nachdenken. Ich verdränge dieses Problem - in der Hoffnung, dass sich die Lösung alleine ergibt. Aufgrund der täglichen Übungen (Nachspurblätter) ist er viel ausgeglichener geworden und scheint im Moment auch besser mit negativen Erfahrungen umgehen zu können. Er schreibt auch schon ganz gut. Wenn er weiterhin so motiviert an die Sache ran geht, wird es vielleicht nicht mehr so lange dauern, bis er nur noch links schreiben darf. Gut, auch dann wird die Langsamkeit immer noch ein Thema sein. Die LH-Beraterin hat heute einen Gesprächstermin benannt. Ich hoffe, dass die Lehrerin diesen Termin wahrnehmen kann. Vielleicht bringt das Gespräch ja etwas.

Wenn alle Stricke reißen, muss er die dritte Klasse noch einmal durchlaufen. Ich weiß nicht, wie er darauf dann reagiert. Ich weiß nur, dass er mir dann sehr leid tun würde, aber vielleicht versteht er es ja dann auch.

Liebe Grüße Conny

Jeannine
02.10.2005, 11:50
Hallo Conny,


wir hatte bereits im Vorfeld darüber nachgedacht, Chris die 2. Klasse (trotz seiner sehr guten Noten) wiederholen zu lassen, damit er die besagte Zeit hat, rückgeschult zu werden. Chris hat sich gegen diesen Vorschlag mit Händen und Füßen gewehrt. Ich kann das auch verstehen, er war so stolz auf seinen 2,0-Schnitt. Da er sehr wenig Selbtbewusstsein hat - würde er dies als Strafe betrachten, zumal er aufgrund seiner "Gedächnisaussetzer" schon oft meinte dumm zu sein. Diese Auffassung würde ich damit bestätigen und ihn letzendlich kaputt spielen.



Das war für Dich natürlich eine schwierige Situation…Jedoch weiß man durch Forschungsergebnisse, das gerade umgeschulte LH mit Überkompensation reagieren!

Gewisser Ehrgeiz ist gut, jedoch kann dieser auch in die falsche Richtung führen und Kindern immer ihre Meinung durchsetzen lassen, finde ich sehr riskant! Denn soviel Lebenserfahrungen und eine zur Zeit in vielen Büchern hoch gelobte „richtige Intuition“ haben Kinder auf gewissen Gebieten leider auch nicht! Als ich vor 12 Jahren noch in NRW arbeitete, hatte ich einen Jungen in der Gruppe, der seine Brille nicht tragen wollte! Der Augenarzt erklärte dem Vater, wenn der Junge die Brille nicht trägt, kann er sich bald einen Blindenhund zulegen. Dieser Junge sollte in einem Jahr in die Schule, seine Feinmotorik war überhaupt nicht ausgebildet und auch sonst wirkte er sehr Verhaltensgestört. Ich redete viel mit dem Jungen und es wurden Regeln eingeführt, das er die Brille für eine gewisse Zeit tragen sollte. Nach kurzer Zeit war er ein begeisterter Bastler und das Problem „keine Brille tragen“ war gelöst, jedoch mußte von Vater- und Erzieherseite viel Kraft und Durchsetzungsvermögen eingesetzt werden, ansonsten hätte der Junge seinen Willen durchgesetzt und die Brille wäre total verweigert worden! Zur Zeit habe ich auch ein Problemkind in meiner Gruppe, er wird 4 Jahre, trägt noch Windeln und ist in seiner Entwicklung und im Selbstbewußtsein wie ein 2 ½ jähriges Kind. Am Anfang haben wir den Jungen auf Bitten der Eltern in Ruhe gelassen, weil er sich angeblich von alleine entwickeln soll! Genau das Gegenteil hat sich eingestellt, er vermeidet alles, ist immer ängstlicher geworden und versteckt sich sogar hinter noch kleineren Kindern. Jetzt muß er einfach mit älteren Kindern integriert werden und seine Selbständigkeit muß auch von Seiten der Eltern gefördert werden, ansonsten wird er im Leben immer Probleme haben!!!



Aufgrund der Rückschulung wird er natürlich zusehens noch langsamer. Aufgaben, die er nicht schafft, macht er zu Hause fertig (aber auch hier muss ich beobachten, dass er langsamer in der Durchführung wird). Ich mache ihm diesbüglich keine Stress. Er weiß woran das liegt (denn ich sage es ihm mit Regelmäßigkeit). Ich weiß nicht, wie er das Klassenziel schaffen soll. Darüber möchte ich lieber zur Zeit auch noch nicht nachdenken. Ich verdränge dieses Problem - in der Hoffnung, dass sich die Lösung alleine ergibt.



Verdränge das Problem auf keinen Fall! Rede mit Deinem Sohn und mache ihm klar, daß er kein Versager ist! Selbst Einstein war ein schlechter Schüler und wurde später zum genialen Physiker! Die Schulbildung muß nicht immer eine Endaussage zur Persönlichkeit sein…

Erkläre Deinem Sohn, daß nicht die Schnelligkeit seiner Schullaufbahn ausschlaggebend ist, sondern das Endresultat! Wenn er seine Motorik schult, heißt das nicht, daß er dumm ist, sondern im Endeffekt noch schlauer werden kann! Durch eine Wiederholung der Klasse kann er seine Leistung übertrumpfen und vielleicht sogar noch Klassenbester werden. Manche LH-Forscher bestätigen sogar, das ein wegbrechen der Sensorik bei Umschulung sogar erst mit dem 12.Lebensjahr auftritt! Das heißt, Dein Sohn hätte selbst mit dem 2.0 Durchschnitt nicht unbedingt eine langfristige Freude haben müssen und wenn das Selbstbewußtsein sowieso angeknackst ist, kann es sogar noch zu größeren Problemen führen! Wichtig ist für Deinen Sohn : Anerkennung, Motivation, Hilfe und Erfolg und an erster Stelle Erklärungen und viele Diskussionen, damit er den richtigen Weg findet und sich nicht allein gelassen fühlt!


Aufgrund der täglichen Übungen (Nachspurblätter) ist er viel ausgeglichener geworden und scheint im Moment auch besser mit negativen Erfahrungen umgehen zu können. Er schreibt auch schon ganz gut. Wenn er weiterhin so motiviert an die Sache ran geht, wird es vielleicht nicht mehr so lange dauern, bis er nur noch links schreiben darf. Gut, auch dann wird die Langsamkeit immer noch ein Thema sein.



Das hört sich gut an und ich denke daß es der richtige Weg ist! Auf keinen Fall das Kind unter Druck setzen! Er soll sich nicht als Faulenzer fühlen, sondern Schrittweise zum Lernen motiviert werden…


Die LH-Beraterin hat heute einen Gesprächstermin benannt. Ich hoffe, dass die Lehrerin diesen Termin wahrnehmen kann. Vielleicht bringt das Gespräch ja etwas.


Ich wünsche Dir vom Herzen, das die Lehrerin mitarbeitet und Euch beiden zur Seite steht!


Wenn alle Stricke reißen, muss er die dritte Klasse noch einmal durchlaufen. Ich weiß nicht, wie er darauf dann reagiert. Ich weiß nur, dass er mir dann sehr leid tun würde, aber vielleicht versteht er es ja dann auch.



Bitte rede mit Deinem Sohn und erkläre die Zusammenhänge! Deine Ängstlichkeit kann sich auch auf Deinen Sohn übertragen und Verdrängung kann Dein Sohn als Unehrlichkeit empfinden!!! Versuch Dein Leistungsdenken abzuschalten und versuche die Vorteile in den Vordergrund zu stellen (-:


Viele liebe Grüße von Jeannine

Conny
05.10.2005, 10:14
Hallo Jeannine,

du hast mit vielen deiner Aussagen sicher recht. Es gibt aber einen ganz bestimmten Punkt, über den ich ungern spreche und zwar ist das das Thema "selbstverletzendes Verhalten". Chris hat nicht nur "kein" Selbstbewusstsein, er neigt leider auch dazu, sich weh zu tun oder gar sich bewusst zu verletzen. Glücklicher Weise haben wir dies bei Zeiten erkannt und waren auch gleich beim Kinderpsychologen. Seit ca. Ende Mai war er diesbezüglich nicht mehr auffällig. Der Zeitraum ist so ungefähr auch deckungsgleich mit der Zeit, wo wir mit der Rückschulung begonnen haben. Sein damaliges Verhalten war für mich ersteinmal der Auslöser, ihn nicht zurück zu setzen (in Absprache mit den Fachleuten).

Wie gesagt, wir sind mit Sicherheit auf einem guten Weg. Er wird erkennen müssen, dass Schule und Noten nicht alles ist und dass in vielen Dingen nur er sich selber helfen kann. Im Moment bemerkt er schon, dass er dem Leistungsmaß der dritten Klasse nicht wirklich gerecht wird. Ich kann allerdings noch nicht werten, wie er das in seinem Inneren so verarbeitet. Er flippt zumindestens nicht aus und wirkt sehr ruhig und gelassen. Getreu dem Motto, ich kann das ja alles - bin halt nur langsam. Mal sehen, wie er reagiert, wenn er die ersten Tests versemmelt hat.

Du siehst, es ist ein sehr komplexes Problem. Ich hoffe, dass, wenn er wieder LH ist, wir nach und nach alle Probleme in den Griff bekommen. Ach, was heißt hier, ich hoffe - nein ich weiß es.

Liebe Grüße Conny

Jeannine
10.10.2005, 20:48
Hallo Conny,


du hast mit vielen deiner Aussagen sicher recht. Es gibt aber einen ganz bestimmten Punkt, über den ich ungern spreche und zwar ist das das Thema "selbstverletzendes Verhalten". Chris hat nicht nur "kein" Selbstbewusstsein, er neigt leider auch dazu, sich weh zu tun oder gar sich bewusst zu verletzen. Glücklicher Weise haben wir dies bei Zeiten erkannt und waren auch gleich beim Kinderpsychologen. Seit ca. Ende Mai war er diesbezüglich nicht mehr auffällig. Der Zeitraum ist so ungefähr auch deckungsgleich mit der Zeit, wo wir mit der Rückschulung begonnen haben. Sein damaliges Verhalten war für mich ersteinmal der Auslöser, ihn nicht zurück zu setzen (in Absprache mit den Fachleuten).


Das ist natürlich ein schwieriger Start: Rückschulung und Selbstverletzung!

War der Auslöser die Umschulung? Wie kam es eigentlich zur Umschulung bei Chris?

Auf der anderen Seite kann Chris jetzt langsam lernen, mit Problemen umzugehen!

Manch einer kommt erst im Erwachsenenalter dazu und schleppte eine Menge Ballast mit sich…Chris kann sich glücklich schätzen, das er eine wachsame Familie um sich hat!


Wie gesagt, wir sind mit Sicherheit auf einem guten Weg. Er wird erkennen müssen, dass Schule und Noten nicht alles ist und dass in vielen Dingen nur er sich selber helfen kann. Im Moment bemerkt er schon, dass er dem Leistungsmaß der dritten Klasse nicht wirklich gerecht wird. Ich kann allerdings noch nicht werten, wie er das in seinem Inneren so verarbeitet. Er flippt zumindestens nicht aus und wirkt sehr ruhig und gelassen. Getreu dem Motto, ich kann das ja alles - bin halt nur langsam. Mal sehen, wie er reagiert, wenn er die ersten Tests versemmelt hat.


Ich denke mal, daß Chris sein Leistungspotenzial erst einmal austesten mußte, nun spürt er auch seine Grenzen! Bis zum Sommer kann er ja noch einiges aufholen, jedoch würde ich an Deiner Stelle viel mit ihm reden, wie schon im letzten Posting von mir angesprochen…damit er bei einem eventuellen Einbruch nicht völlig den Mut verliert!

Du siehst, es ist ein sehr komplexes Problem. Ich hoffe, dass, wenn er wieder LH ist, wir nach und nach alle Probleme in den Griff bekommen. Ach, was heißt hier, ich hoffe - nein ich weiß es.



Das wird auch wieder gut laufen, eine Rückschulung benötigt seine Zeit! Das Gehirn muß sich komplett umstellen, es werden neue Synapsen gebildet, das geht nicht von heute auf morgen! Selbst Spitzensportler haben klein angefangen. Würde ein Anfänger genauso hart trainieren, käme es zu Verletzungen! Wurde Dein Sohn damals im Kindergarten oder in der alten Schule unter Leistungsdruck gesetzt oder gehänselt? Das kann auch ein Grund sein, weshalb er im Moment so Leistungsorientiert ist! Ich denke mal, er wird die Rückschulung gut meistern, immerhin hat Chris einen familiären Rückhalt (-:


Viele liebe Grüße von Jeannine

Conny
11.10.2005, 08:25
Hi Jeannine,

der Auslöser für das selbstverletztende Verhalten? Gute Frage - es fing eigentlich an, als er merkte, dass er nicht alles so hinbekam, wie er es wollte. Einen großen Anteil hat sicherlich auch der Fakt, dass er ja nur eine auditive Wahrnehmung von 40 % hat. Zu dem Zeitpunkt wusste dies ja keiner. Uns war nicht klar, dass er nur 40 % von dem Gesprochenem wahrnahm. Um so größer war natürlich seine Leistung. Wenn man bedenkt, dass er dennoch ein Schüler war, der alles 2 auf dem Zeugnis hatte. Ich habe mich oft gefragt, wie er das z.B. bei Diktaten hinbekommen hat. Stell du dir mal vor, du hörst von einem Satz nur 40 % - den Rest des Satzes musst du dann aus dem Sinn erfassen. Grauenvolle Vorstellung. Problematisch war jedoch der Tatbestand, dass er sich verbal nicht am Unterricht beteiligte. Aufgrund dessen haben wir es erst bemerkt, dass etwas nicht stimmen kann. Er war jedoch (da er ja wusste, nicht alles gehört zu haben) sehr verunsichert und hat generell keine Frage, die an ihn gerichtet wurde - beantwortet. Er hatte furchtbare Angst, etwas falsches zu sagen. Wir waren bei sehr vielen Ärzten. Keiner konnte uns sagen, weshalb er behauptet - es nicht zu hören, denn organisch ist er ja gesund. Erst eine ganz alte Ärztin gab uns dann einen Tipp. Und danach kam alles ins Rollen. Feststellung der auditiven Wahrnehmungsstörungen und Verbindung zur Umschulung von links auf rechts. Seitdem hat Chris mehr Termine im Kalender stehen als ein Manager. Er macht tapfer mit - denn er hat bemerkt, dass es zunehmend besser wird. Logopädie und Ergotherapie habe ich jetzt erst einmal ausgesetzt, damit er auch mal Luft holen kann. Anfang Novemer wird neu diagnostiziert - mal sehen, wie hoch dann die Wahrnehmung ist.

Ich wünsche dir noch einen angenehmen Tag.

Liebe Grüße Conny

Jeannine
16.10.2005, 22:20
Hallo Conny,


der Auslöser für das selbstverletztende Verhalten? Gute Frage - es fing eigentlich an, als er merkte, dass er nicht alles so hinbekam, wie er es wollte. Einen großen Anteil hat sicherlich auch der Fakt, dass er ja nur eine auditive Wahrnehmung von 40 % hat. … Erst eine ganz alte Ärztin gab uns dann einen Tipp. Und danach kam alles ins Rollen. Feststellung der auditiven Wahrnehmungsstörungen und Verbindung zur Umschulung von links auf rechts.



Eine Hör- und Sehwahrnehmungsstörung wurde bei mir 2002 festgestellt! Ich ließ mich bei Frau Dr. Pester in Berlin testen. Gravierende Schulprobleme hatte ich zum Glück nicht! Bei den LH-Tests konnte ich die Hör-Wahrnehmungsstörungen aus dem Kontext heraus ganz gut kompensieren, bei den „Phantasiewörtern“ bekam ich Probleme…Für die Sehverarbeitungsstörungen bekam ich eine Prismenbrille, die ich vorwiegend zum Lesen und für die Computerarbeit nutze. Ansonsten habe ich ein ganzheitliches Sensolorik-Lerntraining

über ein halbes Jahr absolviert (Mischung aus Koordinationsschulung, Feldenkrais und Schreib/Schwungübungen). Das war wichtig für meine Diplomprüfung, denn ich habe im Studium mit meiner Rückschulung begonnen! Welche Therapie macht Chris bezüglich der Wahrnehmungsstörungen? Jedenfalls hat er Glück, das die Ärztin bei ihm diese Störung entdeckt hat! Falls es Dich interessiert, im beigefügten Artikel berichtet Frau Dr. Pester über

Wahrnehmungsstörungen…Anbei: Wahrnehmungsstörung heißt nicht gleich Intelligenzminderung! Jean Ayres, eine bekannte amerikanische Psychologin litt auch unter einer sensorischen Integrationsstörung…Sie entwickelte eine Therapieform und schrieb das Buch : „Bausteine der kindlichen Entwicklung. Die Bedeutung der Integration der Sinne für die Entwicklung des Kindes.


Logopädie und Ergotherapie habe ich jetzt erst einmal ausgesetzt, damit er auch mal Luft holen kann.



Eigentlich finde ich diese beiden Bereiche sehr wichtig! Es muß doch wieder eine Sensorische Integration stattfinden!? Nur Rückschulung mit Schwungübungen finde ich ehrlich gesagt sehr fraglich! Frau Dr. Pester läßt z.B. bei Hörwahrnehmungsstörungen nach Warnke bei einer Logopädin therapieren. Jedoch wird diese Therapie nur für Kinder angeboten!


Viele Grüße von Jeannine